Montag, 4. Februar 2013

Einführung (Die andere Stimme), Carol Gilligan



Carol Gilligan, Die andere Stimme: Lebenskonflikte und Moral der Frau, Einführung (S.9-12)

Gilligan schreibt Die andere Stimme aus ihrem wachsenden Bewusstsein über die Probleme bei der Interpretation weiblicher Entwicklung. Diese Probleme stehen ihrer Ansicht nach in Verbindung mit dem wiederholten Ausschluss der Frauen aus den entscheidenden, der Theoriebildung dienenden Untersuchungen der psychologischen Forschung. 

Die Diskrepanz zwischen der weiblichen Entwicklung und den in der psychologischen Literatur beschriebenen Entwicklungsschritten wurde bisher als Entwicklungsproblem der Frauen interpretiert, Gilligan verortet den Mangel jedoch in der Theoriebildung.

Laut Gilligan ist die andere Stimme nicht an ein Geschlecht gebunden, die Zuschreibung zu den Frauen sei ein rein empirischer Sachverhalt. Den Rahmen ihrer Arbeit steckt Gilligan klar ab, so möchte sie keine Thesen über den Ursprung der von ihr beschriebenen Unterschiede aufstellen oder über deren historische/soziale Verteilung Aussagen machen. Dennoch sagt sie anschließend aus, dass diese Unterschiede offensichtlich in einem sozialen Kontext entstehen, in dem sozialer Status, Macht und biologische Gegebenheiten eine Rolle spielen.

Sie bedient sich dreier Studien, um ihre Theorie zu untermauen:

1) Studentenuntersuchung
Identität und moralische Entwicklung werden untersucht, nach den Erfahrungen moralischer Konfliktsituationen und dem Treffen von Lebensentscheidungen gefragt wird. 25 StudentInnen aus einem Kurs über moralische und politische Entscheidungsfindung werden im vierten Studienjahr und fünf Jahre nach dem Studienabschluss befragt.

2) Abtreibungsuntersuchung
Untersuchung der Beziehung zwischen persönlicher Erfahrung, moralischem Denken und der Rolle des Konfliktes in der eigenen Persönlichkeitsentwicklung. 29 Frauen werden zu einem Zeitpunkt interviewt, an dem sie sich mit dem Gedanken einer Abtreibung tragen, sowie ein Jahr später. Sie unterscheidet ihren Forschungsansatz von vorangegangenen Studien zur moralischen Entwicklung (bspw. Kohlberg & Piaget), da sie fragt, wie Menschen moralische Probleme definieren und welche Erfahrungen sie als moralische Konflikte erleben, anstatt sich auf Problemlösung von vorgelegten Konflikten zu konzentrieren.

3) Rechte-und-Verantwortunguntersuchung
144 Männer und Frauen der Altersstufen 6-9, 11, 15, 19, 22, 25-27, 35, 45 und 60 Jahre, die im Hinblick auf Alter/Intelligenz/Schulbildung/Beruf/soziale Schichtzugehörigkeit vergleichbar sind, geben Auskunft über ihr Selbstkonzept, Erlebnisse moralischer Konfliktsituationen und Urteile über hypothetische moralische Dilemmas. 

Es ist ihr erklärtes Ziel, "ein klareres Bild vom Entwicklungsprozess der weiblichen Persönlichkeit zu liefern", damit die "Integrität und Gültigkeit" des weiblichen Denkens sichtbar und die These der weiblichen Minderwertigkeit widerlegt werde. Dies will sie erreichen, indem sie die Frauen in die Theoriebildung einbezieht, aus der sie vormals ausgeklammert waren.

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