Montag, 4. Februar 2013

Seyla Benhabib, Kommunikative Ethik



Die Professorin Seyla Benhabib entwickelt anhand der Care- Ethik nach Carol Gilligan das „Modell der kommunikativen Ethik“ (zum Beispiel entfaltet anhand von Aufsätzen in Selbst im Kontext: Kommunikative Ethik im Spannungsfeld von Feminismus, Kommunitarismus und Postmoderne, 1992, Suhrkamp).

Benhabib teilt Beziehung in ein Selbst und ein (oder mehrere) Gegenüber ein.
Hierzu führt sie die Unterscheidung zwischen dem „allgemein Anderen“ und dem „konkret Anderen“ ein.
Der "allgemeine Andere" ist eine moralische Person mit den gleichen moralischen Rechten und Pflichten wie wir selbst; er besitzt Gerechtigkeitssinn und Argumentierfähigkeit.
Der "konkrete Andere" ist ein Individuum mit einer bestimmten Geschichte, mit einer eigenen Identität und einer affektiv- emotionalen Konstitution; dieser wird als vom Selbst verschieden wahrgenommen bzw. das Individuelle des Anderen wird erkannt.

Das Wissen und die Anerkennung des Faktes, dass jeder „verallgemeinerte Andere“ ebenso ein „konkreter Anderer“ ist, soll zu einer „erweiterten Denkungsart“ führen – es soll ein interaktiver Universalismus entstehen, durch den jede Dimension des Anderen Berücksichtigung finden.
Hier soll also die von Gilligan aufgeworfene Ambiguität aufgelöst und zu einer Vereinigung von Trennung-Unparteilichkeit->"allgemeiner Anderer" und Bindung-Fürsorge->"konkreter Anderer" geleitet werden.

Ben Habib stellt außerdem heraus, dass die Anwendung des Prinzips der Gleichheit nur dann möglich ist, wenn man die Gleichheit von Fällen auch sicher erfassen kann. Da gleiche Fälle nach universalistischen Prinzipien auch gleich behandelt werden müssen, bedarf es einem möglichst genauen Erfassen der jeweiligen Situation – beispielsweise ist der Diebstahl von 3 Broten durch einen Hungernden und durch einen Menschen, der die Brote verbrennen will, nicht gleich zu bewerten, obwohl in beiden Fällen ein Verlust von drei Broten zu beklagen ist.

Das genaue Erfassen von Motiven, Befindlichkeiten, Resultaten und der Menge der am Konflikt beteiligten Personen nennt Benhabib die "ethische Urteilsfähigkeit". Um eine Situation jedoch richtig erfassen zu können, bedarf es wiederum auch der Fähigkeit, die Perspektive des „konkret Anderen“ einzunehmen. Daraus folgt, dass moralische Situationen nur mit dem Wissen über den situativen Kontext des Handelnden verstanden werden können.

Aus der Sicht von Seyla Benhabib werden durch die rein auf die Rationalität ausgerichtete Diskursethik gefühlsmäßige Reaktionen in der Kommunikation vernachlässigt. „Eine der Hauptschwächen kognitiver und prozeduraler Ethiktheorien seit Kant besteht darin, dass sie die emotionalen und affektiven Grundlagen des moralischen Urteilens und Verhaltens vernachlässigen. [...] Zum Menschen gehört, dass er ein körperhaftes, endliches, leidendes und gefühlbegabtes Wesen ist. [...] Die Idee des Konsens impliziert bereits eine Gemeinschaft und eine Orientierung an einer Gemeinschaft: „Wenn ich ein Gespräch führen will, muss ich zuhören können, ich muss im Stande sein, Deinen Standpunkt zu verstehen; kann ich das nicht, hört das Gespräch auf, entwickelt sich zu einem Streit oder kommt gar nicht erst in Gang. Diskursethik projiziert solche Moralgespräche, die auf wechselseitiger Achtung beruhen, auf eine utopische Gemeinschaft der Menschheit."

(Zitat aus Seyla Benhabib: Im Schatten von Aristoteles und Hegel. Kommunikative Ethik und Kontroversen in der zeitgenössischen praktischen Philosophie. In: Selbst im Kontext. Gender Studies. Suhrkamp, Frankfurt 1992, 66,71)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen